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Für alle großen und kleinen Bruchpiloten auf dieser Welt, 

die sich auch schon einmal gefragt haben, was sie hätten anders machen sollen,

außer: gar nicht zu fahren...

als sie sich hinterher den Vorwürfen der Besserwisser ausgesetzt sahen,
obwohl ihnen der Anblick der Trümmer allein wirklich schon reichte.

Iris Gerlach, im September 2002

 

Über sieben Brücken musst du gehen...

... so lautete bereits am ersten Tag das Motto der Survival - Tour „Oberer Main“ im April 2002.

Ein bisschen klar musste den Teilnehmern schon sein, was sie da erwartete, denn Hans-Hermann hatte „nur für erfahrene Ruderer“ unter die Ausschreibung gesetzt, aber so richtig klar war es ihnen dann doch nicht.

Als Iris auf die immer wiederkehrende Frage, ob man „Nauti“ (das meist geliebte – nicht nur Holland – erfahrene Holzboot) oder „Harry“ (unzerkratzter Kunststoff, Lenzklappen, dafür keine Erfahrung und mit extrem unbequemen Sitzen ausgestattet) für die 10 Tage später anstehende Elfstedentocht benutzen sollte, antwortete „Wir werden das Boot nehmen, das nach der Mainwanderfahrt noch heil ist“, fanden das jedenfalls alle sehr witzig.

Die erste Etappe führte bei trockenen, aber kühlen 15 Grad von Mainleus (bei Kulmbach) nach Lichtenfels.

Zwei Minuten vor der Abfahrt drückte Hans – Hermann Iris ein ca. 30seitiges Druckwerk in die Hand. „Das ist ein Bericht, von denen, die den oberen Main schon einmal geschafft haben ... ich hab´s ein bisschen ausformuliert, damit man es versteht.“

Okay, gewisse Informationen über ein Revier besorgte man sich ja immer, aber ein Beipackzettel diesen Ausmaßes war Iris noch nicht untergekommen. Alles potenziell Gefährliche war rot gedruckt und mit 2 bis 5 Ausrufungszeichen versehen. Auf den ersten Seiten etwa ein Viertel des Textes. Sie fragte sich beim ersten skeptischen Blick auf die Aneinanderreihung von Ein - bis Zwei – Wort – Sätzen (enge Brücke,  Pfeiler !!!- - bei Niedrigwasser aussteigen – 424: Schwallstrecke, re. Versteinerungen), wie es wohl vor der redaktionellen Bearbeitung ausgesehen haben musste und was sie sich unter „150m Frühcafe“ vorzustellen hätte.

„Du und ich werden wohl permanent steuern müssen, ich wüsste nicht, wer sich das sonst zutrauen würde.“

Na schön, es ging los und erwies sich als längst nicht so dramatisch, wie das Papier suggeriert hatte, und als landschaftlich ausgesprochen reizvoll. Die Stimmung war also exzellent, was nicht nur an den Tonnen von sauren Apfelringen lag, die natürlich (!) an Bord waren.

Hans Hermann, Gudrun und Lutz fuhren mit Harry voraus und erkundeten die Lage, und Iris, Bernd und Stefi folgten in Nauti. Über die sieben Brücken (= Wehre) zu gelangen, war abenteuerlich und angesichts der diversen Dornenhecken und Brennnesselfelder auch meistens ein bisschen schmerzhaft, aber gut zu schaffen, da alle 6 stets beieinander blieben und gemeinsam die Boote über Stock und Stein schleppten und vorsichtig wieder ins Wasser setzten. Das Umtragen wurde von Mal zu Mal souveräner und schneller, auch wenn sich immer neue Herausforderungen stellten.

Was tut man zum Beispiel, wenn an der vorgesehenen Umtragestelle (rechts) ein Nagel - besetzter Balken den Weg versperrt ?

Hätte der nette Herr nicht irgendwann nachgegeben, der dem Fahrtleiter etwa hundertmal versicherte, in den dreißig Jahren, die er an diesem Wehr (links) wohne, hätte sich noch nie jemand erdreistet, durch seinen Garten zu spazieren und soooo ein großes Boot über seinen 1,60 Meter hohen Zaun zu heben,  man würde sich wahrscheinlich heute noch anschreien.

Auch wenn theoretisch klar war, dass man, wenn es zu flach wurde, rasch aus dem Boot springen musste, kostete das angesichts der Wassertemperatur von 12 Grad Zeit und Überwindung.

Das Kommando „Ich denke, ihr werdet wohl doch aussteigen müssen ... jetzt !“, erwies sich, selbst als das Boot schon 5 Minuten über den Grund schabte, als nicht präzise genug.

Bernd und Iris vereinbarten daher nach einem theoretisch Exkurs über sprachreduzierte Systeme, dass in Zukunft das eindeutig dringliche Kommando „Scheiße – raus !“ lauten sollte.

Zunächst einmal galt es aber, diverse Engstellen, Slalom- und „Schwall-“ strecken (andernorts auch Stromschnellen genannt) zu überwinden. Als ankündigender Shortcut wurde hier das Kommando „Weiterrudern, egal was passiert“ festgelegt.

In diesen Situationen erwies es sich als nicht so angenehm, ein vorausfahrendes Boot im Blick zu haben:

Iris: „Seid froh, daß ihr verkehrt ´rum sitzt und das nicht seht.“

Bernd: „Nutzt nix. Das Entsetzen spiegelt sich in deinem Gesicht."

Dabei tauchte zu dieser Zeit Harry immer noch aus allen Wellentälern wieder auf.

Schließlich erreichte man wenige Minuten vor Einbruch der Dunkelheit unversehrt den Paddel- und Segelverein Coburg - Schney.

Zwei Grundbedürfnisse galt es noch zu befriedigen: Essen – die Uhrzeit gestattete nur noch einen kurzen Abstecher zu Mc Donalds - und Schlafen.

 

Auf Bernds Frage am nächsten Tag, ob man wieder vorsichtshalber ein Auto auf halber Strecke abstellen wolle, erklärte Hans - Hermann, das sei nun nicht mehr nötig, alles Schwierige sei überstanden.

Gleich am nächsten Wehr wurde das Team eines besseren belehrt. Es gab noch weniger Anlegemöglichkeiten als zuvor, der Fußmarsch bis zum Unterwasser war noch länger und der Main dort noch reißender und steindurchsetzter als zuvor. Und nebenbei regnete es junge Hunde.

Hans – Hermann hatte sich auch in einem anderen Punkt geirrt: Es traute sich sehr wohl noch jemand zu steuern: Gudrun übernahm die verantwortungsvolle Aufgabe, zwischen Pfeilern (!!!), Steinen (!!!!) und herabhängenden Ästen hindurch den richtigen Kurs zu finden und löste die Aufgabe mit Bravour

Beim letzten geplanten Umtragemanöver dieser Tour wurden gymnastische Übungen und die hervorlugende Sonne (ein Kausalzusammenhang wurde postuliert, war aber im Verlauf nicht reproduzierbar) dringend benötigt, um die halb erfrorenen Steuerleute wieder aufzutauen. Trotzdem kam man ohne drei Schichten Wäsche unter der Regenkleidung nicht aus, was allerdings unerheblich war, solange man sich über Wasser befand.

Und noch war man es ja.

Von den noch angekündigten 15 Stromschnellen absolvierten die Ruderer noch zwei, dann war der Main zu Ende, und davon stand nichts in der Gebrauchsanweisung.

Wie man das Problem löste, steht detailliert im Versicherungsbericht. Fazit bleibt, dass der Umweg über ein Baggerloch mit einer Strömung von nahezu 20 km/h kompromisslos und direkt in einen Baum führte. Harry donnerte zuerst hinein, und während sich seine Insassen noch halbwegs trocken durchs Geäst retten konnten, bretterte Nauti – bedingt durch den beherzten Versuch, das Schicksal noch abzuwenden – 3 Meter weiter flussabwärts direkt in einen dicken Ast, der ihn durchbohrte.

Alles ging so schnell, dass das vereinbarte Kommando schon bei „Scheiße“ abgebrochen werden musste, danach gab es kein innen oder außen mehr.

Leute, die behaupten, man würde nicht zum Denken kommen, wenn man von der eiskalten Strömung unter ein gekentertes Boot gedrückt wird, sagen nicht die Wahrheit. Man fragt sich zuerst, ob zwischen Boot und Land wohl irgendwo noch ein Schlupfloch sein wird, durch das man wieder an die Luft kommen wird, was man tut, wenn dort keins ist und erinnert sich zweitens an das, was man vor Jahren in einem Langtursstyrmands – Kurs gelernt hat: „ Als erstes: Ruhe bewahren“.

Nachdem Iris nach dem Auftauchen kurz nachgezählt hatte, dass sich 5 Menschen an Land gerettet hatten, sammelte sie die mit ihr flussab treibenden Packsäcke ein und durfte dabei noch zwei weitere Behauptungen widerlegen: 1) 12 Grad müssen sich nicht kalt anfühlen und 2) man kann auch mit 4 Schichten Klamottten gut schwimmen.

Als alle wieder festen Boden unter den Füßen hatten, zitierte Gudrun denselben „Hart - aber herzlich“ - Kurs: „Was haben die Dänen uns beigebracht, was man als erstes tut ? Zuerst macht man Meldung.“

Schön, dass es Handys gibt und noch schöner, dass sie in wasserdichten Packsäcken trocken und funktionstüchtig bleiben.

Während die so herbeigerufene Polizei (mehr dazu unter Gesetzeshüter) gemeinsam mit einigen Bauern und der halben Mannschaft Harry, der über eine Stunde unter dem Baum in der Gegenstromanlage ausgeharrt hatte, aus dem Wasser zog, rannten Bernd, Lutz und Iris hinter Nautis Wrack her, das sich mittlerweile losgerissen hatte und kieloben noch zwei weitere Stromschnellen mitnahm. Die Motivation war immens, denn in ihm waren Bernds und Stefis gesamte Wertsachen festgemacht.

Nach zwei Kilometern hatten sie ihn wieder gefunden, Lutz und Iris sprangen hinterher – nass waren sie ja noch – bargen Geld, Autoschlüssel, Papiere etc. und befestigten Nauti am gegenüberliegenden Ufer, während Bernd zurück rannte, um Stefi die frohe Botschaft zu überbringen.

Von dort konnte Nauti dann später, nachdem man mit Hilfe der Polizei auch noch den Hänger herbeigeholt hatte, abtransportiert werden. Wie Nauti ans rechte Ufer gekommen war, wo man doch am linken gestrandet und am linken hinter ihm her gelaufen war, war nicht die einzige Frage, über die Hans – Hermann noch längere Zeit nachgrübelte.

 

Man wird es nicht für möglich halten, aber wir brauchten, obwohl einige spontan beschlossen, nie wieder in ein Ruderboot zu steigen, nur bis zum Abendessen, („Können wir bei ihnen auch mit feuchtem Geld bezahlen?“), um uns einig zu sein, dass wir nach einem Tag der Rekonvaleszenz (Nasse Ruderkleidung, blaue Flecken und Angst) die Wanderfahrt fortsetzen wollten. Ab Bamberg dann in dem Vierer, den wir eigentlich für den Rhein - Marathon mitgenommen hatten.

Bliebe noch zu erwähnen, dass wir an einem Deichbruch gescheitert waren, der dazu geführt hatte, dass der Main sich einen neuen Weg gesucht hatte und das ursprüngliche Bachbett trocken gefallen war. Wie wir später (zu spät !) erfuhren, waren ihm außer uns zuvor  mindestens zwei weitere Boote zum Opfer gefallen.

Und dass wir natürlich die Elfstedentocht in Harry, an dem zunächst nur (!!!) ein Ausleger zu ersetzen war, absolvierten. Baumgarten und Partner waren darüber hinaus so freundlich, die unbequemen Rollsitze umzutauschen.

Entgegen ersten Befürchtungen konnte Nauti von den fachkundigen Mitarbeitern der Gehrmann Werft repariert werden, so dass sich auch der (materielle) Gesamtschaden in Grenzen hielt.

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